Eine dringende Bitte an Sie: Denken Sie beim bevorstehenden Kauf eines Streichinstruments (Geige, Cello, Bratsche oder Kontrabass) bitte nicht nur an das Hören! Bekanntlich verfügen wir Menschen noch über weitere Sinne. Und diese sind sicher beleidigt, wenn sie bei der Entscheidung für ein Instrument nicht berücksichtigt werden. Also: Geigenkauf mit allen fünf Sinnen!
Man könnte meinen, beim Instrumentenkauf käme es nur auf den dritten Sinn, das Hören, an. Nicht nur unsere traditionsgebundene Ausbildung, auch die alltägliche Erfahrung mit unseren Kund*innen bestätigen uns jedoch, dass wenigstens drei weitere Sinne, nämlich das Tasten, Sehen und Riechen mit in die Kaufentscheidung einfließen. Wollen wir nun aber unbedingt „alle Fünfe gerade sein“ lassen, biegen wir das Schmecken noch in ‚Geschmack‘ um – schon haben wir die berühmten fünf Sinne beisammen: So kann alles erklärt werden, was später einmal für die stetig wachsende Liebesbeziehung zum Instrument ausschlaggebend sein könnte. Wenn das nur reicht! Darüber hinaus kommen nämlich noch – ganz banal – die Kapazität des Geldbeutels hinzu, das Vertrauen in den Verkäufer und nicht zuletzt die Bedenken, ob sich die Investition für den vorgesehenen Nutzer oder die Nutzerin auch lohnt.
Aristoteles (griech. Philosoph, geb. 384, gest. 322 v. Chr.), der Erfinder dieser sinnigen Theorie, hat es sich mit seiner Reduzierung auf nur fünf Sinne sehr einfach gemacht (in: „De Anima“). Aber auch so ist ein Geigenkauf ganz schön anspruchsvoll!
I. Tasten
Wer spricht denn noch vom Tastsinn? Das ist doch nur etwas, das Blinde benötigen! In der Stoff- oder Kleiderabteilung des Kaufhauses kommt dann aber von hinten plötzlich die Aufforderung: „fühl doch mal!“ Das ist uns nicht einmal peinlich, denn der Tastsinn ist heutzutage so weit in Vergessenheit geraten, und das Vergessen wird allgemein akzeptiert, dass wir es gelassen hinnehmen, extra zum Fühlen aufgefordert werden zu müssen, wenn es um die Stoff- oder Kleiderwahl geht. Und jetzt kommt’s: Lassen wir uns darauf ein, eine Sache zu ertasten, stellen sich unsere Augen unscharf oder wir schließen wir sie sogar. Das ist ein ganz alter Reflex, den es tief in uns doch noch gibt.
Und sonst? Der Tastsinn ist ein fast in Vergessenheit geratener Sinn inmitten der Farb- und Bilderflut, die sich über uns ergießt: So schön und bequem, erfasst sie uns und kann uns begeistern, ohne dass wir sie je berühren müssten. Einzig die Augen müssen wir offen halten, mehr nicht.
Jetzt stellen wir uns einmal Folgendes vor: Fern von allen Bildschirmen und Displays müssen nun die armen Geigenschüler*innen lernen, jeden Ton quasi blind zu ertasten, und zwar exakt auf den Punkt! Gelingt dies nicht, erklingt ein falscher Ton. Mühsam! Und das alles nur, weil wir es verlernt haben, uns auf unseren Tastsinn zu verlassen.
Die Quittung für diesen vernachlässigten Sinn haben auch die Lehrlinge im Geigenbau zu bezahlen, denn für sie ist es zunächst unfassbar(!), dass der Meister so viel Wert auf den exakten Saitenabstand zum Griffbrett, den Abstand der Saiten voneinander, auf Halsstärke, Griffbrett- und Stegrundung sowie die Gestaltung des Halsgriffs legt. Die wahre Belohnung für all diese Mühen erfolgt erst viel später – die Geige ist fertig, klingt auch gut und sieht nett aus – nämlich dann, wenn der Kunde sie gekauft hat, weil „sie gut in der Hand liegt“ bzw. „sich gut spielen lässt.“
Wir sind übrigens nicht die Einzigen auf der Welt, die sich um die Haptik kümmern. In der Automobilindustrie legt man gelegentlich ebenfalls allergrößten Wert darauf, wie gut sich das Lenkrad anfasst. Gar nicht so dumm, diese Autokonstrukteure, denn dem bereits erwähnten Aristoteles zufolge soll „das feine Tasten den Menschen zum klügsten aller Lebewesen“ machen.
II. Hören
Weil wir wissen, wie unterschiedlich die Hörgewohnheiten geprägt sind, verzichten wir bei der Beschreibung unserer Instrumente auf die Kategorie ‚Klangʻ. Natürlich haben wir eine Meinung zum Klang jedes einzelnen
Instruments, welches in den Verkauf geht, doch wollen wir mit unserer Zurückhaltung unseren Kund*innen die Chance geben, sich durch den Vergleich mit anderen Instrumenten ein eigenes Urteil zu fällen. Deshalb legen wir unseren Kund*innen eine möglichst große Auswahl an Instrumenten zum Vergleich vor.
Mit dem Ohr des Menschen hat es Seltsames auf sich: Ist es nicht so, dass uns nur das vertraut erscheint, was wir bereits kennen? Und ist es nicht so, dass wir Vertrautes, was wir als gut erfahren haben, gern wieder hören möchten? Jedes Instrument klingt aber anders! So wie jede menschliche Stimme einen anderen Klang hat. Es bleibt uns und natürlich den Kund*innen also nicht erspart, Neues zu hören und neue Sympathien zu entwickeln. Eine Banalität, so könnte man meinen, doch gibt es in der Welt des Geigenhandels unverdrossen das Bemühen, einen sogenannten ‚guten Klangʻ als objektiv und unabänderlich, als wissenschaftlich überprüf- und wiederholbar in die Welt zu setzen. Als ob das Empfinden eines guten Klangs eine konstante Größe für alle Menschen aus allen Zeiten und Kulturen, immer gleich und somit solide Grundlage für alle Forschung wäre! Ja, es ist wahr: unsere Hörorgane sind die exaktesten Messgeräte, die in unserem Kopf eingebaut sind. Der Hörsinn ist der exakteste der fünf Sinne.
Auch der unmusikalischste Mensch (das bedeutet meist: jemand, der sich selbst so bezeichnet, weil er „nicht singen“ kann!) empfindet Dissonanzen auf der Stelle und fordert missgelaunt die sofortige Erlösung von der ‚Katzenmusikʻ. Und doch vertraut er seinen Ohren nicht, wenn er dem Kauf einer gut klingenden Geige für das Kind die Zustimmung geben soll, sprich: er das Portemonnaie zücken soll. Warum dieses Misstrauen? Hypothese: Weil unser zweiter Sinn (das Hören) zu dicht eingebettet und ausgerechnet auch noch mitten zwischen denjenigen Sinnen liegt, die uns nur allzu oft täuschen. (Mehr zum Hörsinn weiter unten.)
III. Sehen
Sie ist so verführerisch, die Bilderflut, die wir nur deshalb gerne über uns ergehen lassen, weil wir bereit sind, die allzu leichte optische Täuschung zugunsten einer schönen, spannenden oder erholsamen Geschichte in Kauf zu nehmen. Nur weil es so verführerisch einfach ist, liegen wir auf dem Sofa und wähnen uns in den Weiten der Tundra. Allein der Optik wegen ergeben wir uns genüsslich. Sind unsere schönen und erholsamen Träume im Schlaf auch so einfach gestrickt? Dabei lautet doch eine viel zitierte Lebensweisheit, den „Augen nicht zu trauen“. Wahrscheinlich wurde diese zu selten zitiert! Wie sonst hätte es so schnell zum ‚optischen Zeitalterʻ kommen können? Spätere Generationen werden uns einmal fassungslos die im 21. Jahrhundert immer noch vorherrschende Primitivität vorwerfen.
Ach übrigens: der schmachtende Blick der Liebe kann ja sehr verräterisch sein! Das haben auch wir entdeckt. Bei dem Versuch, all unsere Werkstattgeheimnisse offenzulegen, kommen wir jetzt nicht umhin, über den guten alten Ladentisch zu sprechen. Der hat nämlich den Vorteil – und das ahnen vermutlich die wenigsten Menschen, dass wir als gut beobachtende Verkäufer*innen von unserer Warte aus den ‚schmachtenden Blickʻ des Kindes zu allererst entdecken. Noch vor Mutter, Vater, dem begleitenden Geigenlehrer (der sich schon von Amtswegen allein darum bemüht, alle Aufmerksamkeit auf das Hören zu lenken) und auch weit vor den anderen Verwandten, die aufgrund eventuell notwendiger Finanzierungsbeihilfen gerne oder gar zwangsläufig mitgekommen sind.
IV. Riechen
Erfolgreiche Detektive folgen ihrer Nase. Spürsinn macht in diesem Fach sogar Hunde noch erfolgreicher als Menschen. Unsere Nase erreicht zwar nur zehn Prozent der Hundeleistung, dennoch sollten auch wir dem Urteil unseres Geruchssinns mehr vertrauen, zumal sich ein Streichinstrument während der der geforderten Übezeit Stunde um Stunde nur wenige Zentimeter vor dem Einzugsbereich der Nase befindet. Kurz und knapp gesagt: Es sollte auch angenehm riechen. Noch knapper: nicht stinken! (Nur nebenbei: Ausgerechnet in diesem Sinne besitzt Holz offenbar ein Langzeitgedächtnis!) Forschungsergebnisse der Wissenschaft liefern jetzt den Beleg dafür: Über Liebe, Zuneigung und Ablehnung entscheidet allein die Nase. Parfümeure und Autohersteller versuchen sich schon länger danach zu richten. Wir als Geigenbauer natürlich auch, indem wir der Politur gut riechende Harze beimischen – könnte man meinen. Aber das riecht natürlich derjenige nicht, der nur aus gewisser Distanz die Entscheidung zum Geigenkauf beobachtet und das Ergebnis kopfschüttelnd, weil zweifelnd, akzeptiert.
Dabei hat unser Geruchssinn eine ganz besondere Qualität: Er ist unmittelbar im Langzeitgedächtnis eingebettet. So bringt er uns Erfahrungen in Erinnerung, die längst vergessen zu sein scheinen. In der Psychologie ist das ein wichtiger Schlüssel zu den Türen unserer Vergangenheit. Mit der Beziehung auf die Vergangenheit haben wir es insofern immerfort zu tun, als es sich bei dem Streichinstrument um einen Gebrauchsgegenstand handelt, der sich in der langen Zeit seiner Existenz in allen Einzelheiten, einschließlich Lack und Geruch des Lacks, schlicht und einfach bewährt hat (und endlich zum kulturellen Welterbe der Menschheit gezählt werden sollte!).
Die wohlriechenden Harze im Lack mischen wir nicht bei, um die Kaufentscheidung zu beschleunigen, sondern deshalb, weil sie beim Geigenkauf mit 5 Sinnen ihre Haltbarkeit bewiesen haben und jahrhundertelang bis heute kein Weg an ihnen vorbei geht. Wenn sie zusätzlich gut riechen, sagen wir: Das ist auch ok! Wenn sie aber darüber hinaus auch heute noch zur Kaufentscheidung beitragen, beweist dies nur, wie sehr wir uns auf unseren Geruchssinn verlassen können. Wie sagte noch der Detektiv? Der letzte Satz in einem Tatort am Sonntag lautete: „Auf meine Nase konnte ich mich schon immer verlassen!“
V. Schmecken
„Über Geschmack sollte man nicht streiten“, so heißt es. Das ist sicherlich noch immer ein kluger Ratschlag. Doch ist es nicht an der Zeit, endlich einmal wieder auf die Straße zu gehen und den Mund aufzumachen? Zu viele Geschmacksverirrungen, die uns durchaus teuer zu stehen kamen, sind im Lauf der Zeit entstanden. Man denke nur an die Bausünden der fünfziger Jahre oder an die Zeit des Gelsenkirchener Barock, in der Möbel spätestens nach der Klärung der letzten Erbstreitigkeit im Sperrmüll auf der Straße gelandet sind. Oder man denke an Flohmärkte, wo heute aus den Kellern Geräumtes billig erworben werden kann, was einmal gar nicht billig war, aber – vorsichtig formuliert – immer schon eine ästhetische Entgleisung und zum Magenumdrehen! Womit wir schnell bei manchen Geigen wären, die an diesen Orten zu finden sind.
Um aber dem Streit über Geschmack aus dem Weg zu gehen – denn schlechter Geschmack scheint so tief in unserer Seele verwurzelt zu sein, dass Streitigkeiten darüber kaum beizulegen sind – folgt jetzt eine Aufforderung an unsere Schulen und Kindergärten: Sorgt euch doch bitte mehr um frühzeitige Geschmacksbildung! Der Sinn für Ästhetik gehört auch zum Menschsein! Mindestens seit den Höhlenmalereien von vor dreißigtausend Jahren. Vielleicht reicht es ja schon, den Kunstunterricht in der Schule ernster zu nehmen und nicht unter ‚ferner liefenʻ verkommen zu lassen. Bei dem Preisverfall, der auf Flohmärkten augenscheinlich ist, ergibt das ökonomisch bzw. volkswirtschaftlich sogar Sinn, der sich dann – auch in Euro gerechnet – auszahlt.
Zurück zum Hörsinn (II), der beim Instrumentenkauf zugegebenermaßen meist von größerem Interesse ist: Anne Sophie Mutter spielt eine Stradivari-Geige, deren Klang als warm und weich empfunden wird. Aber wieviel Wärme und Weichheit ist allein dem Bogenansatz und -strich der Musikerin zu verdanken? Es ist wahr: Ihre Geige erglüht oder erblüht unter ihrem Bogenstrich, und auch das das zarteste Pianissimo ist noch bis in die hinterste Stuhlreihe zu hören. Das war im Konzerthaus Dortmund (Aufgang B, oberste Empore, Sitz 24). Und das Konzerthaus in Dortmund hat sich mit seiner hervorragenden Akustik international einen Namen gemacht.
Welchen Klang haben wir als warm, angenehm und gut erfahren? Die Stimme der Mutter, des Vaters, des Bruders? Gar die Stimme des Geigenlehrers, die Stimme seines Instruments, seiner Geige, die wir einmal spielen durften? Was hat unsere Erfahrung geprägt? Sollte es eine alte Schallplattenaufnahme von David Oistrach gewesen sein, eine CD-Einspielung mit David Garrett oder Nigel Kennedy auf You-Tube? Es ist die ‚Klangfarbeʻ, die uns eine Stimme als besonders – angenehm oder unangenehm – empfinden lässt! Organist*innen haben es hier einfach: Wenn es ihnen um die Einstellung der Klangfarbe geht, können sie ein bestimmtes Register ziehen und damit von den Holz- auf die Zinnpfeifen wechseln oder noch ein Zungenregister hinzumischen. Wenn sie mit vorgemischten Klängen musizieren wollen, ziehen sie einfach den Knopf, auf dem ‚Mixtur Iʻ oder ‚IIʻ oder ‚IIIʻ steht. Plötzlich ist die zentrale Melodie trotz aller Umspielungen und Verwicklungen der Komposition deutlich vernehmbar, und das alles, ohne lauter werden zu müssen.
Das Streichinstrument hat keine Registerknöpfe, die wir ziehen könnten. Ihre eigentümliche, wahrnehmbare oder auch angenehme ‚Mixturʻ muss von Anfang an eingebaut sein. Das ist die Hausaufgabe des Geigenbauers! Nicht an der Lautstärke, sondern an dieser besonderen Mixtur erkennen wir auch auf Sitz 24 der obersten Empore des Dortmunder Konzerthauses die einsame Stimme von Anne Sophie Mutters Stradivari, durch alles Gewoge der übrigen Streicher hindurch, klar und deutlich! Dies zum Thema Lautstärke des Instruments – der Fachmann sagt ‚Tragfähigkeitʻ: Selbstverständlich muss die Geige die Umwandlung der Streichenergie in Lautstärke ohne viel Verlust leisten können. Die einfachste Forderung: Die Geige solle gut hörbar sein – in jeder Ecke des Raums bzw. Konzertsaals. Aber welchen Raum bieten wir dann an, um das zu überprüfen? Unsere Verkaufsräume mit einer Deckenhöhe von 3,50 m und den herumstehenden Instrumenten, die ja alle immer mitschwingen und die Resonanz verstärken könnten? Oder etwa das neue Konzerthaus Dortmunds, welches wegen seiner guten Resonanzeigenschaften bereits internationale Anerkennung fand? Der berühmte Cellist Pablo Casals soll einmal gesagt haben: „Die Lautstärke des Instruments – das macht der Raum!“
Man könnte auch meinen, eine Geige solle nichts anderes als einen reinen und klaren Ton von sich geben: den Ton, den man sich wünscht – ohne alle Fisimatenten. Die Tonhöhe ist ja objektiv messbar, alle Unreinheiten und unerwünschten Nebentöne wären dann auf dem Bildschirm des Oszillographen unzweifelhaft und deutlich sichtbar zu machen. Allerdings: Wer sich darauf einlässt, verlässt sein Menschsein und gerät in die Hölle der sogenannten Vernunft, Abteilung Physik. Tatsächlich gibt es solche Instrumente, die sich Musikinstrumente nennen: etwa solche, die den Klang auf elektronische Weise erzeugen – immer wieder neu sind diese Instrumente und immer wieder nach kurzer Zeit der Euphorie im Abstellraum gelandet. Oder gar die ganz billigen Geigen vom Wühltisch bei Norma (60,00 € inkl. Kasten & Bogen), die tatsächlich den ‚dünnenʻ, aber oszillografisch nachgewiesenen, (fast) reinen Klang hervorbringen.
Also doch lieber die ‚Mixturʻ von beigemischten Ober- und Untertönen. Diese Geige ist dann aber etwas teurer.
Um das mit ‚Hölle der Vernunft, Abt. Physikʻ etwas abzuschwächen (leise Kritik an René Descartes Satz „Ich denke, also bin ich“, der sich inzwischen vielleicht zu „Ich fühle nur das, was ich auch denken kann“ ausgewachsen hat): Inzwischen haben sowohl die Sympathie-Schwingungen als auch die spezielle Mixtur der Geige durchaus das wissenschaftliche Interesse ernsthafter Forscher geweckt und schon zu beweisbaren Ergebnissen geführt.
Aber dennoch ist es zum Verzweifeln: Weil wir Menschen keine Krokodile oder Nilpferde sind, also leider mit Ohren ausgestattet sind, die wir nicht abschalten können, haben wir längst gelernt, das zu überhören, was wir nicht hören will – unbewusst natürlich! Die Evolution macht’s möglich! Ausgleich eines Mangels, was denn sonst! Jedes Kind, das „wieder einmal nicht hört“, kann das ganz locker. Noch schlimmer ist: Weil die knallharten und eindeutigen Urteile unseres Hörorgans unmittelbar im Wühltisch eines ewig unaufgeräumten – und zweifellos immer noch heillos verschlungenen – Gehirns landen und dann zwangsläufig mit den Urteilen der Augen, des Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinns vermischt werden: Wer kann denn da noch ein objektives Gesamturteil fällen? Wenn dann Geschichten hinzukommen, von denen wir mal gehört oder gelesen haben, ist das Chaos komplett.
Als Beispiel sei hier die Geschichte des im 19. Jahrhundert berühmten norwegischen Geigers Ole Bull erzählt: Er hielt an geeigneter Stelle mitten im Satz den Bogen noch sekundenlang „dicht über den Saiten schwebend, um das Publikum, welches in atemloser Stille dem letzten Verklingen seines immer schwächer werdenden Tones lauschte, glauben zu machen, derselbe dauerte in unerhörtem ppp noch fort“ (ppp = piano pianissimo bzw. leise, leiser, noch noch leiser). Louis Spohr schrieb das in seiner Autobiografie (Kassel 1860/61, Bd. II, S. 229). Ist doch klar, Herr Spohr: Das Auge sollte helfen, dem Gehirn den längst nicht mehr vorhandenen – und nach bestem Willen auch nicht mehr physikalisch messbaren – Ton hinzuzufügen!
Nein, den Klang einer Geige muss man schlicht und einfach lieben. Und wie das mit der Liebe so ist – entweder wir lieben auf den ersten Blick (hier ist jetzt das Ohr gemeint) oder lernen zu lieben. Dazu braucht es manchmal etwas Zeit, allein schon deshalb, weil wir uns mit Bogenstrich, Ansatz und Bogendruck erst einmal auf das Instrument einstellen müssen.
Auch über Geschmack sollte man letztlich immer noch nicht streiten! Das haben uns Kunden aus aller Welt gelehrt, indem sie kauften, was uns selbst erst mal gar nicht so gut gefallen hat. Später irgendwann mussten wir dann begreifen, dass der Kaufentscheidung ganz offensichtlich die Hörgewohnheit des Kunden zugrunde lag. Man kann sich ja auch reinhören in die Hörgewohnheiten der Völker! You-Tube macht’s möglich, wenn auch in dem begrenzten Umfang der digitalisierten Übertragung, die uns die Technik aufzwingt.
Einige Kriterien bleiben uns doch! Ein Beispiel: Hält die Geige auf Dauer das, was sich unsere Kund*innen von ihr erhoffen? Ist sie also solide gebaut, sind alle Reparaturen nach allen gültigen Maßstäben erfolgt? Dafür sind wir zuständig, dafür stehen wir ein mit all unserer Erfahrung, mit unserer Ausbildung sowie dem altüberlieferten Wissen in der Geigenbau-, Restaurierungs- und Reparaturtradition. Deshalb kommen Sie ja in die Fachwerkstatt, die im Fall des Falles zu Garantieleistungen verpflichtet ist.
Eine Anmerkung ganz zum Schluss: Sollte Aristoteles bei der Aufzählung der Sinne etwa die Neugierde ganz vergessen haben? Wie sollen wir uns denn ohne jeglichen Sinn für Neugierde jemals die Welt erschließen, zum Beispiel die der Streichinstrumente? Mit unserer ‚gläsernen Werkstattʻ machen wir hier den Anfang: Nehmen Sie uns beim Wort und kommen Sie in die Werkstatt, wir zeigen und erklären Ihnen alles sehr gerne.