Werkstattgeheimnisse

Das eigentliche Geheimnis dürfte im Gegenstand unseres Berufs selbst zu finden sein: der Violine – diesem altehrwürdigen Streichinstrument, welches nun schon über Generationen gereift ist und über Jahrhunderte hinweg nahezu unverändert gebaut wird. Wenn sich da nicht Erfahrungen angesammelt hätten, die jedes Produkt unserer Zeit in den Schatten stellten, dann wäre dies das größere Rätsel.

„Und was ist mit Stradivari? Der hatte doch wenigstens sein Lackgeheimnis!“ Diese Frage wird uns von unseren Kund*innen immer wieder gestellt. Wir beantworten sie gern und ohne Ausweichmanöver: Wenn es ein solches Geheimnis gab, dann kannte es der Apotheker in Cremona, von dem Stradivari seinen Lack bezog, wie wir inzwischen wissen. Ob dieser sich damals jedoch der Tatsache bewusst war, dass er über das inzwischen berühmte Lackgeheimnis verfügte, kann jedoch angezweifelt werden.

Eine idealisierte Illustration von Antonio Stradivari, wie er ein Instrument untersucht (Autor unbekannt).

Wussten Sie…?

…, dass ein Celloetui um 1900 noch 14 Kilo auf die Waage brachte? (Heute sind es 4,2 bis 5,9 Kg.)

Wissen Sie, was eine Violinzither ist? Vorausgesetzt, Sie wissen noch, was eine Zither ist, dann stellen Sie sich vor, dass sie so ähnlich aussieht, auf dem Tisch liegt, gezupft werden kann, aber auch gleichzeitig mit dem Bogen gestrichen werden sollte.

Was aber ist dann ein Instrument, welches ebenfalls auf dem Tisch liegen sollte, gestrichen wird, jedoch aussieht wie ein hässliches schwarzes Insekt? Ganz einfach: eine Streichzither.

Und wenn das Instrument wie eine Violine aussieht, aber ein Griffbrett mit Bünden hat und ebenfalls auf dem Tisch zu liegen hat? Ganz einfach: eine Streichzither in Violinform.

Wenn das Instrument aber wie ein Streichinstrument aussieht, Bünde hat, jedoch einen Steg ohne die übliche Rundung an seiner Oberkante? Antwort: eine Mandoline in Violenform.

Und wenn das Instrument wie ein winziges Banjo aussieht, aber nur vier Doppelsaiten hat? Logisch: ein Mandolinbanjo.

Was ist das: Sieht fast so aus wie das Modell einer alten Hansekogge, mit Kopf am Bug, aber ohne aufgezogene Segel und mit einer Kurbel hinten? Antwort: eine Drehleier, was sonst! Frage: Was ist eine Drehleier? Antwort: ein Streichinstrument! Und wie klingt das? Antwort: Wie ein Dudelsack!

Was ist das: Schwarz, hat fast die Form wie der Anker eines Elektromotors und hat vier Saiten? Natürlich: eine der ersten elektrischen Geigen.

Ein langer Stab, eine Saite, in der Mitte eine kleine Trommel, oben zwei kleine Becken aus Messing und ganz oben ein Teufelskopf. Sieht nicht im geringsten aus wie eine Geige. Was ist das? Eine Teufelsgeige (s. Foto).

Und das da sieht eher wie ein Starenkasten aus, mit großem Loch für fette Stare, das aber Drähte vor dem Eingang hat. Zugegeben, das herauszufinden war auch für mich schwierig. Eine ältere Kundin lüftete schließlich das Geheimnis und brachte mir sogar eine Schule für dieses Instrument ins Haus. Es ist eine Stössel-Laute.

Hand aufs Herz, würden Sie solchen Instrumenten, die keiner mehr will, die Tür weisen? Ich kann das jedenfalls nicht. So entstand ein kleines Museum und wuchs und wuchs…

Der Teufel

Menuhins Stradivaris

Eines Tages erschien Yehudi Menuhin in der oberbayrischen Geigenbauschule. Nein, nicht plötzlich aus dem Nichts. Vielmehr wurde er lange angekündigt, und nun war der große Tag gekommen. Der Name Menuhin war mir seit Monaten geläufig, denn von ihm sprach man in der Schule, ebenso über die Brüder Oistrach und Jürgen Kussmaul – ganz genau so wie unten im Flachland über große Filmstars. Mittenwald, das war halt Geigenwelt! Menuhin hatte schon im Schloss Elmau gespielt, diesem Bergkristall im Wettersteingebirge, nicht weit von Mittenwald entfernt. Über Stock und Stein, durch Nacht, Schnee, Eis und Wind war ich dorthin gepilgert, um ihn zu hören – einfach, weil es für einen Geigenbauschüler selbstverständlich war und ich mir vor den anderen mit meiner Unkenntnis von den Größen dieser Welt keine Blöße geben wollte. Menuhin wollte uns Geigenbauschülern zwei seiner Stradivaris zeigen. So hatte er es Konrad Leonhard, dem Direktor, versprochen. Echte Stradivaris natürlich, keine Fälschungen oder Kopien! Und auch nicht nur Formschablonen von Stradivari-Geigen.

Als Schablone kannte ich sie bereits. Denn diese Umrisse aus Zinkblech waren so ziemlich das Erste, was mir Meister Hornsteiner in die Hand drückte, auch die Schablonen von Amati- und Guarneri- Geigen. Bis dahin waren das für mich nur in Blech gravierte Namen und kleine Abweichungen in den Außenlinien, die den Unterschied ausmachen sollten. Und Maßtabellen, jene gemeinen Freifahrscheine für pingelige Lehrmeister!

Fotos der berühmten Instrumente hatte ich – in Fachbüchern oder in der Bibliothek der Geigenbauschule – schon gesehen. Allerdings waren das schlechte und langweilige Reproduktionen in körnigem Druck, durch den in den Büchern dieser Zeit alle Geigen dieser Welt gleich aussehen: Ein Blick von vorn, einer von der Seite und einer von hinten. Grau in grau, in zwei oder drei Abstufungen und in der Größe von Sonderbriefmarken. Wie sollte man sich da bitte schön ernsthaft dafür begeistern können? Jetzt aber packte Menuhin zwei echte Stradivaris aus! Wir durften sie sogar in die Hand nehmen und von allen Seiten genauestens betrachten. Jede Schülerin und jeder Schüler konnte sich dazu alle Zeit der Welt nehmen. Menuhin stand etwas abseits und drängte uns nicht zur Eile. Im Gegenteil: Er war zufrieden mit unserem Interesse. Und die Presse war es auch: Sie fotografierte den Zufriedenen von allen Seiten, samt seinem Sohn, den er mitgebracht hatte. Sein Abstecher nach Mittenwald schien sich für ihn gelohnt zu haben, nicht wegen der Presseaufmerksamkeit, denn die war seit seiner Wunderkindzeit ja bestimmt schon gewohnt, sondern, weil er vielleicht doch der Gutmensch war, über den man hier schon gesprochen hatte. Angeblich besaß er zwölf echte Stradivaris. Diese stellte er dem Erfolg versprechenden Geigenspielernachwuchs in seiner Londoner Musikschule zur Verfügung, die er gegründet hatte, weil er mit dem herkömmlichen Geigenunterricht unzufrieden war.

Hochnäsige Besucher der Geigenbauschule – sie kamen aus aller Welt, Besichtigungszeit war täglich zwischen 11 und 12 Uhr, hatten mir kurz vor Menuhins Besuch einen lästigen Floh ins Ohr gesetzt. „So wie Stradivari kann man heute keine Geigen mehr bauen!“, war mir freundlich und fernöstlich lächelnd zugeflüstert worden. Dies geschah ausgerechnet an dem Morgen, an dem ich wegen meiner dick verbundenen linken Hand nur langsam und vorsichtig arbeiten konnte. Im Übereifer hatte ich mir tags zuvor mit dem Stecheisen kräftig in die Hand gestochen. Wie soll ein 17-jähriger mit solch einem Satz im Ohr und mit immer noch schmerzender Wunde ruhig schlafen, wenn er gerade voller Euphorie am Anfang eines neuen Lebensabschnitts steht? Diese ignoranten Globetrotter! Sollten sie doch zum Teufel trotten und weiterhin glauben, alles besser wissen zu müssen! Mit trotzigem Blick sah ich mir also ‚die Echten‘ an. So gut wie Stradivari? Wieso eigentlich ich nicht? Diese alten Dinger des himmlischen Meisters waren schließlich genauso aus Holz gebaut, aus Bergahorn (Boden, Zargen und Hals) sowie Bergfichte (die Decke).

Yehudi Menuhin (1976)

Und sie waren natürlich von Hand gebaut: mit Säge, Stecheisen und Schnitzer, so wie ich es gerade lernte, in aller denkbaren Sorgfalt. So brachten die Meister es uns ja bei. Wer schusselig arbeitete, wurde gerügt. Wahrscheinlich war es damals nicht anders, als Stradivari in der Werkstatt von Niccola Amati lernte. Was sollte also schief gehen?

Herr Leonhard wies uns auf Feinheiten hin. Das war auch gut so, denn in der Aufregung hätten wir (und ich in meinem Trotz!) bestimmt manches glatt übersehen.

Der Direktor hatte damit Erfolg, denn worauf er hinwies, das prägte sich ein. Seinem Zeigefinger und seinen pingeligen Erklärungen von Feinheiten war zuzuschreiben, dass die Nörgeleien der Meister nicht mehr ihrer oberbayerischen Eigenbrötelei angelastet wurden, sondern ihrer Kenntnis von guter Arbeit aus der Tiefe der Tradition Mittenwalds, die ja schließlich auch auf der Arbeit der alten Italiener fußte. So hatte Mathias Klotz in Italien noch dazugelernt, bevor er zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Mittenwald mit dem Geigenbau loslegte. Klotz – so hieß immerhin noch einer meiner Meister an der Geigenbauschule. Die Voraussetzungen waren also gegeben! Jetzt hieß es für mich als Schüler nur noch – ganz genauso wie damals: Schnitzer scharf halten, aufpassen und auf das hören, was der Meister sagt, Geduld in der Arbeit und die Maße einhalten! Woll’n wir doch mal sehen, ob wirklich niemand mehr so wie Stradivari arbeiten kann! Wäre doch gelacht, wenn nach 250 Jahren Forschung und Weiterentwicklung in der Physik der Akustik nicht sogar Stradivari zu übertrumpfen ist!

War das jugendlicher Übermut? Mangelnde Ehrfurcht vor dem alten Meister? Vielleicht war es nur Ehrgeiz, der geweckt wurde! Jede neue Generation muss doch ein Anrecht auf Unbedarftheit haben, sonst wäre auch Stradivari niemals zu dem geworden, für den man ihn heute hält.